2018
Reutlingen | Galerie im Gewölbe
Gabriele Böhm
Inspiriert von Griechenland
aus: REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER vom 30. August 2018
Helge Binder liebt Griechenland. "Schon als Kind gefielen mir das Land, die Kultur, die Literatur, die Musik", sagte er bei der Vernissage seiner Ausstellung "Agalmata" in der Galerie im Gewölbe in der Reutlinger Buchhandlung Osiander. Den Einführungsvortrag zu seiner ersten Ausstellung hielt sein ehemaliger Kunstpädagoge am Quenstedt-Gymnasium Mössingen, CHC Geiselhart, der als Maler, Bildhauer und Drucker bekannt ist. Für die empathische musikalische Begleitung sorgte Gerald Stempfel auf historischen Instrumenten.
"Statuen" bedeutet der griechische Titel der Ausstellung, und zweidimensionale menschliche Skulpturen sind auch zu sehen. Binder schuf ihren grafischen Duktus aus Acryl, Kohle, Grafit, Kreide und Paraffinwachs, das der Künstler als "Schuhcreme" bezeichnet. In einer eigenen Formensprache erinnern die Figuren mit ihren stilisierten Körpern und Gesichtern an die Götterstatuen archaischer Kulturen - erhaben und unnahbar in ihrer monumentalen Schlichtheit. Die zurückhaltende Farbigkeit in bläulichen, gelblichen oder rötlichen Tönen lässt an Stein als Werkstoff denken. "Auch hier standen frühgriechische Werke Pate", sagt Binder. "Nicht in dem Sinn, dass ich sie nachzubilden versuche. Sie begeistern mich und finden daher den Weg aufs Papier."
"Die eigenständige Auseinandersetzung mit dem Vorbild Alberto Giacometti ist unübersehbar", sagte Geiselhart. Hier wie dort steht die menschliche Figur, schlank, überlängt und ausdrucksstark in ihrer Reduktion, im Fokus. Binders gemalte Statuen sind von einer derart bestechenden Präsenz, dass man den Raum mit einem einzigen Bild füllen könnten. Das Gewölbe wirkt beinahe übervoll von heroischen oder göttlichen Gestalten, deren Aura keine weiteren neben ihnen zu dulden scheinen.
Eine Reihe seiner Werke hat Binder mit "Chorismos" überschrieben, dem griechischen Begriff für Trennung. "Chorismos" zeigt Figuren, die scheinbar miteinander kommunizieren, jedoch in sich selbst durch unterschiedliche Farbigkeit und schwarze Striche gespalten erscheinen. Ihr statischer Aufbau verhindert echte Zuwendung. "Die Frage menschlicher Kommunikation beschäftigt mich sehr", so der Künstler. "Ich beobachte in der Gesellschaft, dass man zwar miteinander redet, dies jedoch an der Oberfläche bleibt. Es funktioniert nicht so, wie es sollte." In den Statuen drücke sich auch etwas wie Selbstschutz aus.
Gleichzeitig, so Geiselhart, sei es die griechische Antike mit ihren übermächtigen Helden wie Achill oder Odysseus und den Philosophen von Sokrates und Platon bis Aristoteles, die das heutige Griechenland in seiner schwierigen Situation "unter der Last dieser gewaltigen Geschichte ächzen" ließen. Auch diese Zwiespältigkeit drücke sich, so Binder, in den von sich selbst getrennten Skulpturen aus. (GEA)